Mittwoch, 1. April 2009

Durch Zufall kam ich an diesen Bericht über unser neues Klimahaus. Eine Kollegin erzählt es einer Kollegin, die wiederum erzählt es einem Freund und der sagt, das kenne ich schon, darüber habe ich sogar schon geschrieben. Finde ich toll und hier der Bericht:

DAS WELTKLIMA FREI HAUS
Das neue Science Center „Klimahaus 8° Ost“ in Bremerhaven will Klimaphänomene auf unterhaltsame Weise einem breiten Publikum nahebringen. Und es gibt der Klimaforschung überraschende Impulse.

von Thomas Willke

Manchmal geht Wissenschaft seltsame Wege. Eigentlich wollten Jochen Marotzke und Guy Brasseur vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie die Macher des neuen Klimahauses 8º Ost in Bremerhaven nur beraten. Doch über eine einfache Frage, die ihnen Klimahaus-Geschäftsführer Arne Dunker stellte, entwickelte sich dann ein Forschungsprojekt. „Welche klimatischen Folgen hat eine Sonnenfinsternis“, wollte Dunker wissen. Die Antwort der Wissenschaftler darauf war spontan und eindeutig. „Keine“. Denn für einen Klima-Effekt ist eine Sonnenfinsternis zu kurz und zu lokal begrenzt. Doch die Forscher drehten die Sache gleich weiter: Was passiert, wenn die Sonne plötzlich nicht mehr scheinen würde? „Wow, was für eine interessante Idee“, begeisterten sich die beiden. Auf diese Frage hatte die Forschung bis dato keine Antwort. Für das Leben wäre das mit Sicherheit eine Katastrophe. Pflanzen können ohne Sonnenenergie nicht lange überleben. Sie würden innerhalb von Wochen sterben und nach ihnen aus Futtermangel die meisten Tiere. Innerhalb eines Jahres würde es wahrscheinlich kein höheres Leben mehr auf der Erdoberfläche geben. Das auf chemischer Energie basierende Leben in der Tiefsee könnte allerdings länger widerstehen. Aber was würde sich physikalisch abspielen? Was passiert mit Klima, Wasser, Eis? Marotzke setzte sich mit seinem Programmierer Michael Botzet zusammen, um das Problem in einem Klimamodell zu simulieren. Marotzke dachte an einen schnellen Test mit einem relativ groben Rechenprogramm. Doch Botzet schaltete die Sonne im weltweit genauesten Klimamodell ab – das auch für die Berechnungen des Weltklimarats IPCC genommen wird. Und er entdeckte Erstaunliches. WIE DAS MEER DEM EIS ZUSETZT Ohne Wärmezufuhr durch die Sonne friert die Erde langsam zu. Eis und Schnee breiten sich rasch über die Polargebiete aus und bedecken schon nach einem Jahr die Kontinente. Die Meere leisten allerdings hartnäckig Widerstand. Manchmal sieht es in der Simulation so aus, als könnte das Wasser die Kälte zurückdrängen. Schließlich siegt aber auch in den Ozeanen das Eis. 15 Jahre nach dem schlagartigen Erlöschen der Sonne wäre die Erde ein Schneeball. Einige Paläogeologen vermuten, dass die Erde solch einen Extremzustand bereits einmal erlebt hat – vor etwa 700 Millionen Jahren. Damals gab es ungewöhnliche starke Eiszeiten. Forscher entdeckten selbst in Äquatornähe Spuren von Vereisungen, vor allem mächtige Gletscher-Moränen, sogenannte Tillite. Ob die Erde allerdings wirklich völlig vereist war, ist unter Geologen und Klimaforschern nach wie vor heftig umstritten. „Manche Wissenschaftler halten es sogar für physikalisch unmöglich, dass die Erde komplett einfriert. Doch unsere Rechnungen zeigen, dass dies prinzipiell geht“, urteilt Marotzke. Allerdings zeigen die Modellrechnungen auch, wie hartnäckig die größten Klimamaschinen der Erde – die Ozeane – gegen den Frost arbeiten. „Beim Abkühlen verstärkte sich die Zirkulation in den Weltmeeren erheblich – teilweise bis auf das Zehnfache des heutigen Wärme- und Wasseraustauschs.“ Und die Ozeane schafften es in der Simulation fast immer, die Welt wieder aufzutauen, sobald die Forscher die Sonne erneut strahlen ließen. Erst bei einer ozeanischen Eisbedeckung von 98 Prozent war Schluss. „Das heißt aber auch, dass 2 Prozent offener Ozean ausreichen würden, um die Erde vor totalem Frost zu bewahren. Damit hat bislang kein Mensch gerechnet. Aber wahrscheinlich steigt über die Wasseroberfläche noch genügend Wasserdampf in die Atmosphäre auf, um dort Wärme aufzunehmen. Und Wasserdampf ist ein sehr wichtiges Klimagas“, sagt Marotzke. Dagegen fiel ein anderer Klimaeffekt bedeutend geringer aus, als man es nach den bisherigen Berechnungen erwartet hätte: die Eis-Albedo-Rückkopplung. Große Schneeflächen wie die der Polargebiete reflektieren bis zu 90 Prozent der einfallenden Sonnenenergie. Fels und Erde nehmen sie dagegen fast völlig auf und erwärmen sich entsprechend. Beide Prozesse verstärken sich selbst: Wenn Eisgebiete tauen, geben sie Erdreich frei, das sich aufheizen kann und damit noch mehr Eis zum Schmelzen bringt. Umgekehrt kühlt eine vorrückende Schneelandschaft die Erde durch die Sonnenlichtrückstrahlung weiter ab und produziert so noch mehr vereiste Fläche. So jedenfalls steht es in Lehrbüchern. In der Simulation geschah dies aber nicht. Die von den Ozeanen freigesetzte Wärme stoppte fast immer den erwartete Rückkopplungseffekt. Was das für die Klimaforschung zu bedeuten hat, ist völlig offen. „Vielleicht müssen wir die Wirkung der Eis-Albedo-Rückkopplung bei unseren aktuellen Klimabetrachtungen überdenken“, meint Marotzke. Klarheit verschaffen können nur neue Forschungsprojekte. Denn die Simulation der MPI-Wissenschaftler beschrieb nicht, was vor 700 Millionen Jahren wirklich geschah. Sie zeigt auch nicht, was auf der Erde in Zukunft geschehen wird, sondern nur, was im Prinzip möglich ist. Manchen Klimaforschern gefallen solche drastischen Versuchszenarien überhaupt nicht. Doch Marotzke ist überzeugt: „Es ist sinnvoll, bei Experimenten erst einmal mit dem Holzhammer zuzuschlagen. Wenn sich dabei kein Effekt in der Simulation zeigt, braucht man gar nicht mit realistischen Bedingungen herumzuprobieren. Dann stimmt die ganze Theorie wahrscheinlich nicht. Und überhaupt: Was kann denn bei unseren Extrem-Experimenten schon schiefgehen? Schlimmstenfalls stürzt der Rechner ab.“ Mit dem Holzhammer taute der Professor die Erde auch wieder auf: Er ließ die Sonne wieder leuchten und erhöhte die Konzentration des Klimagases Kohlendioxid in der Atmosphäre auf 20 Prozent. Wie erwartet schwanden dadurch Eis und Schnee. Marotzkes Doktorand Aiko Voigt tauscht nun den Holzhammer gegen ein feines Schnitzmesser. Nachdem die grundsätzliche Frage geklärt ist, ob es eine Schneeballerde geben kann oder nicht, sucht er nach realistischen Bedingungen, unter denen die Erde einfrieren und wieder auftauen kann. EINMAL UM DIE GANZE WELT Die Simulationen der Hamburger Forscher können Besucher in Kürze im Klimahaus 8º Ost in Bremerhaven erleben. Sie ist eine der wissenschaftlichen Attraktionen der neuen „Wissens- und Erlebniswelt“, wie das Geschäftsführer Arne Dunker und die Ausstellungsleiterin und Geophysikerin Susanne Nawrath nennen. Das Konzept: Nicht bloß Fakten über Klimazonen und Klimawandel liefern, sondern die Phänomene erlebbar machen. Wesentlicher Bestandteil des neuartigen Science Centers ist die „Reise“. Sie führt den Besucher entlang des achten Längengrads von der Nordsee-Hallig Langeneß über Bremerhaven in die Schweizer Hochalpen, weiter über Sardinien, den Sahel und das tropische Kamerun in die Antarktis. Anschließend geht auf dem 172. Längengrad westlicher Breite über Samoa ins arktische Alaska. Das Zentrum jeder Reisestation ist eine Klimakammer, in der die geographischen Gegebenheiten breitenkreiskonform nachgebaut sind: Feuchter Wind an der Nordsee, trockener im Sahel, Schwüle im Urwald, Eiseskälte und Schnee in der Antarktis – dazu die Geräusche, Gerüche, Tiere und Pflanzen der Region. In Samoa kann man sogar in die Unterwasserwelt abtauchen. Jede Klimakammer beherbergt Räume, in denen der Besucher – bei behaglichem Raumklima natürlich – seine Eindrücke vertiefen kann: mit Filmen, Spielen und Infotafeln. Im zweiten Teil der Ausstellung, den „Elementen“, können die Besucher an über 100 interaktiven Exponaten eigene Klimasimulationen und Experimente ausprobieren,° Stürme auslösen oder Vulkane ausbrechen lassen und die Folgen studieren. Im Teil „Perspektiven“ geht es um die Klimate der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und was man selbst tun kann, zum Beispiel zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Wissenschaftliche Partner und Berater des Klimahauses sind neben dem Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg das Alfred-Wegener-Institut für Meeres- und Polarforschung in Bremerhaven, die Universität Bremen und der Deutsche Wetterdienst.  n Das neue Bild von Bremerhaven. Mit dem Klimahaus (Bildmitte) präsentiert sich die Stadt an der Wesermündung revitalisiert. Eine Simulation brachte es an den Tag. Ein Jahr, nachdem die Sonne ihre Strahlung einstellt, sind die Kontinente total vereist, 14 Jahre später auch die Ozeane. Wie reisen Sie am bequemsten um die Welt? Im Klimahaus 8° Ost. Dort gelangt man von einer Klimazone in eine allein durch Raumwechsel. Sand wie im Sahel, Bananen wie auf Samoa, Eiswind wie in Alaska ‧ – und das alles in Bremerhaven.

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