Ein einschneidendes Erlebnis in dieser Beziehung hatte ich Anfang der 80ziger Jahre gehabt, als ich in München, bei einem Rechtsanwalt und Unternehmensberater arbeitete und diesen bei einigen Fällen vor Gericht vertreten sollte.
Ein paar Stunden vor Verhandlungsbeginn bekam ich die entsprechende Akte des Mandanten in die Hand gedrückt und dann hiess es: Die Verhandlung ist um 14.00 Uhr , gehen Sie bitte für mich dorthin und beantragen Sie für unseren Mandanten einen Vergleich. Wieso einen Vergleich fragte ich damals beim ersten Mal noch ziemlich naiv. Der Mandant ist doch voll im Recht mit seiner Klage. Es ging damals um Bauschäden und eine Begehung mit einem Sachverständigen hatte erbracht, dass die von ihm beanstandeten Baumängel wirklich so vorhanden waren, wie er sie beanstandet hatte und er gemäss dem abgeschlossenen Werkvertrag und der darin enthaltenen Gewährleistung, ein Recht auf Nachbesserung bzw. Entschädigung hatte.
Aber mein damaliger Chef winkte ab. Im Grunde haben Sie ja Recht, aber wenn wir das durchboxen wollen, dauert es noch Monate und die Zeit haben wir einfach nicht. Also gehen Sie hin, einigen sich vorher mit dem Gegenanwalt und dann schlagen Sie dem Richter im Namen des Mandanten einen Vergleich vor. Aber wendete ich ein, der Mandant ist doch gar nicht da und der ist doch damit bestimmt nicht einverstanden. Der Chef lachte, ach meinte er, wenn es danach immer ginge, dann würden wir mit unseren Prozessen nie zu Ende kommen. Nein, nein machen Sie es genauso wie ich Ihnen sage, gehen Sie hin und schlagen Sie einen Vergleich vor. Es ist eine ganz normale Sache und unserem Mandanten werden wir das dann auch schon richtig verklickern, dass er besser damit fährt, als wenn er monate- oder jahrelang klagt und am Ende dann doch nicht das bekommt, was er meint, was ihm zustehen müsste. Gut, ich hatte diese Dinge auch schon während des Studiums einige Male mitbekommen, aber irgendwie doch nicht so richtig. Dies war das erste Mal, dass ich selbst an so einem Fall beteiligt war und eigentlich schmeckte mir das gar nicht. Aber was blieb mir anderes über, wenn ich meinen Job behalten wollte, dann musste ich in diesem Fall tun, was mir der Chef sagte. Es war eine harte Schule damals in dieser Firma, aber es war eine wichtige Schule für mein Leben. Ich lernte unheimlich viel dort, weil eben dieser Chef seine Angestellten einerseits immer gerne ins kalte Wasser warf, wenn es um die zu erledigenden Aufgaben ging, aber andererseits lernte man dabei auch viel, denn man wollte diese Herausforderungen ja bestehen und nicht als Looser vor den anderen Kollegen dastehen. Und das wusste dieser Chef genau und er nutzte dieses Konkurrenzgebalze, das es sehr wohl in dieser Firma gab, bis auf’s Äußerste aus. Mit Bedacht hatte er nur Frauen eingestellt und nur einen weiteren Mann und der war in diesem Spiel das goldene Kalb, um das alle herumtanzten.
Was er sagte oder besser meistens laut schrie, das war das Amen in der Kirche und duldete keinen Widerspruch. Jeden Tag hatte eine von den Frauen fast einen Nervenzusammenbruch, weil sie es nicht verkraftete so zusammengeschrien zu werden, denn nichts anderes war es, wenn er mit seinen Schimpfkanonaden loslegte. Eines Tages, ziemlich kurz nach meinem Eintritt in die Firma war ich dann auch dran.
Im Laufschritt bei ihm antanzen, war nur eine Sache, die andere, eine laute Beanstandung der abgelieferten Arbeit, folgte als nächstes. Oh Gott war das peinlich, das ganze Büro bekam mit, was man falsch gemacht hatte und wahrscheinlich lachten sich die Kolleginnen alle ins Fäustchen und gönnten mir, der Neuen, das, was sie auch tagtäglich von ihm gewohnt waren. Und nun hatte es auch mich erreicht, denn die Probezeit war gerade herum, bis dahin hatte er sich noch zurückgehalten. Aber nun legte er los und das mit doppelter Kraft. Mit eingezogenem Nacken und einem hochroten Kopf kam ich aus seinem Büro heraus und schlich mich an meinen Platz zurück, wohlwissend, dass ich von den anderen beobachtet und belächelt wurde.
Nein, so hatte ich mir den neuen Job nicht vorgestellt.
Aber gleich zu kündigen, nein das ging auch nicht. Wie sollte ich das denn meinen Eltern gegenüber und auch bei einer neuen Stelle vertreten. Ich fühlte mich schlecht und zwar sauschlecht! Aber was tun, war die Frage.
Ich muss es einige Zeit aushalten, ich kann da nicht gleich wieder kündigen, dachte ich und nahm mir vor, mich zumindest zum Schein eine Zeitlang an die dort geltenden Spielregeln zu halten. Aber da hatte sie dieRechnung ohne meine Mutter gemacht.
Nachdem ich mich jetzt jeden Morgen mit einem mulmigen und gar nicht frohem Gefühl auf den Weg in die Arbeit machte und jedes Mal wenn das Geschreie losging, vorhatte, bei der nächsten Gelegenheit doch zu kündigen, bekam meine Mutter das Geschreie des Chefs bei einem Telefonanruf zufällig mit. "Was ist denn bei Euch los", fragte sie. "Schreit der Chef immer so mit Euch rum?"
Ja, war meine Antwort, das ist hier gang und gäbe. "Also, mein Kind, mit Dir macht der das nicht. Und wenn er es versucht, dann gehst Du zu ihm und sagst ihm: Herr Dr. Sowieso, es hat kein Mensch das Recht mich anzuschreien. Wenn ich einen Fehler gemacht habe, dann sagen Sie es mir ruhig und sachlich ohne Geschrei, ansonsten muss ich meine Konsequenzen ziehen und kündigen."
Nun war ich baff. Ich, die immer wieder gedacht hatte, nein, ich kann nicht so schnell wieder kündigen, was denken dann meine Eltern von mir, ich hörte nun, dass ich gerade das tun sollte, wenn mir der Chef auf diese unwürdige Weise entgegenkam. Die Sonne ging plötzlich in mir auf. Toll, dass ich solche Eltern habe. Die wussten, wie man einen Menschen stärkt und ihn nicht zum Duckmäuser macht.
Plötzlich erinnerte ich mich auch an einen Spruch meiner Mutter. Sie sagte früher immer: "anschreien lasse ich mich von Niemanden. Es hat niemand das Recht mich klein zu machen." Klasse dachte ich, jetzt habe ich den Freifahrtschein. Wenn der mich noch mal zu sich ruft und sich dabei im Ton vergreift, dann sage ich ihm meine Meinung.
Und die Gelegenheit kam schnell. Irgendwann war auch ich wieder dran zum Appell und der Ton war wieder so etwas von daneben, so dass ich ihm ganz ruhig und sachlich, den Satz meiner Mutter sagte und siehe da, was geschah?
Dieses rumbrüllende Urgestein wurde auf einmal ganz leise, entschuldigte sich und benahm sich anschliessend wie ein normaler Mensch. Aber komischerweise nur mir gegenüber. Die anderen Kolleginnen schrie er weiter an und die wunderten sich, wieso er das bei mir nicht mehr tat. Die Firma ging dann später pleite, was damit natürlich nichts zu tun hatte, aber wer so eine Firma führte, der konnte meiner Meinung nach auch nicht lange bestehen. Ich aber war eine der Angestellten, die mit am längsten dort war. Ich bekam mein Geld immer pünktlich und konnte ausserdem noch eine Geschäftsreise nach Indonesien aus diesem Arbeitsverhältnis mitnehmen. Diese Reise warfür mich die Erfüllung eines Traums. So gesehen war es wirklich eine gute Schule und das Beste was mir passiert war, war die Unterstützung meiner Mutter. Das war etwas für’s Leben.
Nie wieder musste ich Angst vor Vorgesetzten haben und nie wieder würde ich mich von irgend jemanden auch nur im Geringsten anschreien lassen.
Und das war wahrscheinlich auch die Antwort auf die Frage,die ich mir an diesem Morgen gestellt hatte: „wer bin ich und warum mische ich mich ein“.
Ich hatte seit damals keine Angst vor Vorgesetzten und ich habe keine Angst meine eigene Meinung vor wem auch immer zu verdeutlichen oder zu verteidigen. So etwas, wie diesen faulen Vergleich, den ich damals in München geschlossen hatte, so etwas wollte ich nie wieder im Leben machen. Wenn ich also meinte, ich wäre im Recht, dann wollte ich auch dafür kämpfen und nicht kampflos aufgeben oder den Kopf in den Sand stecken.
So, das war's - 10 Seiten aus meinem Leben, ich hoffe Ihr habt Euch nicht gelangweilt und vielleicht schreibe ich ja irgendwann
weiter.
2 Kommentare:
Habe jeden Tag gelesen und finde Deine Geschichte sehr interessant, Du bist ja eine echte Kämpfernatur.
Wir waren am Sonnabend in Dresden und haben eine Markthalle besucht, genau so eine wie ich es hier bei Dir gelesen habe. Fand ich sehr interessant, nur leider waren nicht mehr alle Stände vermietet.
Liebe Grüße bis zum Wiederlesen von Kerstin.
hallo brigitte,
ich hab auch voller interesse immer gelesen, toll die unterstützung mütterlicherseits.
aber macht dieser gerechtigkeitssinn und das nicht angepasst sein nicht auch einsam ;), so ist meine erfahrung.
alle achtung!
sei lieb gegrüsst
kelly
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