Und auch danach in den nächsten Ferien bekam ich einen tollen Job im Hafen angeboten. Ich arbeitete als „Fotografin“ auf der „Roland von Bremen“, einem Schiff, das täglich nach Helgoland fuhr. „Fotografin“ war ein bisschen zu hoch gegriffen für den Job, denn alles was ich tun musste, war, die Leute zu fotografieren, wenn sie in die Bördeboote umstiegen, um auf die Insel zu kommen. Aber da ich schon immer gerne fotografierte, machte mir auch diese Arbeit Spaß und wenn ich dafür auch noch Geld bekam, war das schon eine tolle Sache. Auch hier erlebte
ich viel interessante Dinge, es waren ja fast jeden Tag ca. 1000 Menschen, die für ein paar Stunden nach Helgoland fuhren. Mein Job sah so aus, dass ich morgens um 9.30 Uhr an Bord zu sein hatte, mich dann aber gleich nach dem tollen Bordfrühstück an Deck verziehen konnte und mich dort bis ca. 11 Uhr sonnen konnte, falls denn mal die Sonne schien.
Ja und danach fing dann die Arbeit an, falls man das Arbeit nennen konnte. Ich bekam eine tolle Rollei-Kamera in die Hand und musste nun von der Deckswand oben mit einem Megafon in die Bördeboote rufen: „Hallo, alle mal nach oben gucken, lächeln, aber nicht winken!“ Natürlich gab es immer wieder Leute, die trotzdem winkten, aber das hielt sich dann doch in Grenzen. Und so wurden dann viele Bilder geknipst, damit man möglichst viele Leute auf den Fotos hatte, die dann natürlich hinterher die Bilder kaufen sollten.
Mir machte der Job Spass, wobei es schon eine Rolle spielte, dass es nur ein Ferienjob war, denn auf Dauer war das doch ziemlich langweilig. Das Entwickeln und Vergrößern der Fotos anschließend in der Dunkelkammer an Bord war auch neu für mich. Man lernt ja nie aus und das konnte man sicher hinterher auch mal wieder verwenden. Immer war es natürlich nicht so schön, denn
wenn ordentlich Seegang war, war es gar nicht so einfach, die Leute in den Booten zu fotografieren und auch das Entwickeln stellte sich dann schon mal als nicht so einfach dar. Aber meistens bekamen mein Chef und ich das schon hin und die Bilder wurden uns anschliessend aus den Händen gerissen. Mein Chef verdiente sich mit diesem Geschäft eine goldene Nase und ich verdiente auch nicht schlecht. Und als Ferienjob war es eine tolle Sache.
Nur einmal war es nicht so toll. Wir hörten am Morgen schon, dass es ganz schön stürmisch sein sollte und wir hörten auch, dass die Englandfähre, die hinter uns lag, ihr Auslaufen abgesagt hatte, weil es zu gefährlich war, bei dem Sturm auszulaufen.
Aber unser Kapitän lachte nur und machte Witze darüber, dass die Prins Oberon nicht auslief. Denen zeigen wir es mal, hiess es damals. Wir liefen also aus, hatten auch tüchtigen Seegang, so dass ich mich schon mal in die Koje verzog. Denn so ganz seefest war ich damals nicht. Mir wurde einfach am Anfang immer übel, und wenn ich mich dann hinlegte, dann ging es später wieder. Na ja, ich lag da also in meiner Koje, als es auf einmal einen Schlag tat, so dass ich dachte, das war’s jetzt, jetzt kippen wir um. Aber wir kippten nicht um. Das Schiff richtete sich wieder auf und fuhr weiter. Ich hatte für mich nur bemerkt, dass ich in diesem Moment eigentlich keine Angst verspürt hatte, nur eben
dieser Gedanke kam auf: Das war’s denn wohl. Im Nachhinein fand ich das komisch. Und bald darauf ging es mir dann auch wieder besser und ich ging zurück an Bord.
Was ich dort sah, erschütterte mich dann doch. Viele Passagiere lagen verletzt an Deck, genau genommen 36 und sie hatten die verschiedensten Verletzungen bis hin zum Schädelbruch. Da
hiess es nun helfen, wo Hilfe gebraucht wurde. Endlich kamen wir irgendwann vor Helgoland an und trotz der wilden See wurde ausgebootet und die Verletzten an Land gebracht. Zwei Schwerverletzte hatten wir dabei, die sofort auf Helgoland versorgt werden mussten. Und auch an Bord gab es einiges zu tun. Viele Tische waren aus ihren Halterungen gerissen und sogar die Herde in der Küche hatten sich nicht gehalten. Viele Passagiere hatten sich verletzt, weil sie sich nicht den Anordnungen des Kapitäns gefügt hatten und sich irgendwo hingesetzt und festgehalten hatten. Sie mussten sich selbst beweisen, wie mutig und seefest sie waren und waren an Bord umherspaziert. Dies musste jetzt alles in der kurzen Zeit des Aufenthaltes bearbeitet werden und wir hatten alle Hände voll zu tun.
Auf der Rückfahrt legte sich der Sturm ein bisschen, aber vielen Passagieren und auch mir steckte der Schreck noch in den Gliedern. Und da eine Frau sich schwer verletzt hatte bei der Welle, sollte ich nun die Oma, die mit den beiden Kindern zurückfuhr trösten und ihr sagen, dass alles schon wieder werden würde, was ich auch tat. Und dann hörte ich auf einmal, dass diese Frau trotz aller Bemühungen der Ärzte auf Helgoland verstorben sei und der andere schwer verletzte Passagier auch.
Wie es mir nun ging, kann man sich vorstellen. Ich war zu der Frau gegangen, hatte sie getröstet, dass alles schon wieder gut werden würde und nun diese Nachricht. Ich konnte es nicht fassen wie grausam das Schicksal manchmal sein konnte. Hatte die Frau doch erst kurz vorher ihren Mann durch Krebs verloren, nun folgte sie ihm und hinterließ zwei kleine Kinder. Und ich hatte gesagt, es wird alles wieder gut. Ich machte mir die größten Vorwürfe, aber ich hatte es ja nicht anders gesagt bekommen. Ich schwor mir beim Einlaufen in Bremerhaven, nie wieder an
Bord dieses Schiffes zu gehen und doch war ich am nächsten Morgen wieder zur Stelle. Das Leben kann manchmal schon hart sein.
Viel später, als dann die Verhandlung des Seeunfalls bevorstand, wurde ich hoch zum Kapitän gerufen, um mit der Schreibmaschine seine Aussage festzuhalten.
Ich kam zu ihm auf die Brücke und er hatte nichts Besseres zu tun, als mir seine neue Stereo-Anlage vorzuführen und diktierte mir dann das Protokoll zu dem Unglückstag. Im Nachhinein wurde es so dargestellt, dass wir bei fast schönstem Seewetter ausliefen und wir nur das Pech hatten, dass uns eine unvorhersehbare Grundsee (sog. Monsterwelle von unten) traf, die das Schiff fast zum Kentern brachte. Dabei lief die Musik und er erzählte es ohne irgendeine Emotion. Mir war ganz schlecht dabei und ich musste mich schon sehr zusammennehmen, um nicht loszuheulen. Waren doch bei diesem „schönen Seewetter“ und dem unvorhersehbaren Ereignis zwei Menschen gestorben und 36 verletzt worden. Das Endergebnis dieser Untersuchung war dann, dass der Kapitän strafversetzt wurde auf ein anderes Schiff und das war es denn auch. Ungerecht ist die Welt!
Morgen geht es weiter ......
1 Kommentar:
Moin Brigitte,
wer wie wir beide an der Nordseeküste groß geworden ist, der kennt die friedlichen Abendstunden im Sommer am Deich mit traumhaften Sonnenuntergängen ebenso gut, wie die Tage an denen der Sturm die Wellen gegen die Deiche peitscht, und an denen man sich auf dem Deich kaum auf den Beinen halten kann.
Das Wesen des Meeres habe ich aber erst während der Jahre wirklich kennengelernt, in denen ich Mitsegler auf der Fahrtenyacht "Störtebeker" eines meiner Freunde war. Menschen, die Schiffe nur aus dem Hafen kennen, wenn sie unbeweglich an der Kaje festgemacht liegen, und die ein gelegentliches Auf und Ab während der Überfahrt mit der Weserfähre nach Nordenhamm schon als "Seegang" bezeichnen, können sich nicht vorstellen, wie diese im Sturm dermaßen in alle Richtungen hin und hergeworfen werden, dass alles zu Bruch geht, was nicht vorher sorgfältig verstaut und verzurrt wurde. Diese Menschen können sich aber auch nicht vorstellen, wie es ist, wenn man mit dem Schiff anschließend bei Windstille friedlich auf einer endlos scheinenden spiegelglatten Wasserfläche treibt, die Gedanken in die Ferne schweifen lässt, die nass gewordenen Klamotten in der Sonne in der Takelage zum trocknen herumhängen und man die ruhigen Stunden genießt, bis wieder Wind zum Segeln aufkommt. Sie kennen nicht die Gefühle und Emotionen, die man in klaren Nächten erlebt, wenn die Sterne und die Milchstraße über einem am Himmel in einer Deutlichkeit und Klarheit zu sehen sind, wie man sie in den "lichtverschmutzten" Städten auf dem Festland niemals erahnen würde und sie kennen nicht den Zauber der grünen Leuchtspuren aus den millionenfachen Lichtquellen winziger Leuchtalgen, die von der Bugwelle des Schiffes angeregt werden. Zur scheinbaren Unendlichkeit des Meeres kommt in diesen Nächten der Blick in die wahrhafte Unendlichkeit des Alls hinzu. Für mich waren diese Stunden in meinem Leben immer mit dem Gefühl absoluter Freiheit verbunden. Vielleicht sind das einige der Gründe, die uns Menschen dazu treiben, uns immer wieder in diese eigentlich für uns lebensfeindliche Umgebung zu begeben ...
Während meiner Berufsausbildung hatten wir einmal den Auftrag, Fernsehgeräte auf den Englandfähren einzubauen. Die Geräte wurden mit Schrauben und Muttern durch den Gehäuseboden auf den an den Wänden montierten Konsolen befestigt. Später wurden wir einmal nach der Ankunft einer Fähre aus Harwich an Bord gerufen, um defekte Fernsehgeräte zur Reparatur abzuholen. Während eines Sturms waren die Geräte durch die Bewegungen in den für die Nordsee so typischen Grundseen förmlich zerrissen worden. Mehr oder weniger komplette Gehäuseböden oder auch nur Teile davon waren nach wie vor auf den Konsolen befestigt. Aber die Oberteile einiger der Gehäuse - teilweise abgerissen - noch an einigen Stellen ihrer Unterteile fest, während andere Geräte sich total zerlegt hatten, und durch die Gegend geflogen waren. Viel zu reparieren gab es da nicht mehr.
Du warst an dem Tag während der tragischen Sturmfahrt an Bord der "Roland von Bremen", als die Führung der Englandfähre entschied, den Sturm vorsichtshalber in Bremerhaven abzuwarten. Wenn der Kapitän der "Roland" gesehen hätte, was ich damals während meiner Ausbildung gesehen habe, dann hätte er gewusst, warum die "Prins Oberon" am England-Terminal blieb, während er darüber spottete, und seine Entscheidung Verletzte und Tote zur Folge hatte. Ich habe nie verstanden, wie das Seegericht damals zu diesem Urteil kommen konnte, und dass man diesem Mann noch einmal das Kommando auf einem Schiff anvertraute. Deine persönliche Schilderung von der Protokollaufnahme hat meine diesbezügliche Ansicht noch einmal bekräftigt.
Gruß,
Jürgen
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